Viele Sporttreibende kennen das Problem, dass sie nach einem intensiven Training Knieschmerzen bekommen. Daher wollen wir hier einige Ursachen für Knieschmerzen exemplarisch herausgreifen und Lösungsansätze besprechen.
Viele Sporttreibende kennen das Problem, dass sie nach einem intensiven Training Knieschmerzen bekommen. In extremen Fällen muss sogar komplett auf das Training verzichtet werden. Wenn dies beim Taijitraining ebenso der Fall ist, ist dies für viele Praktizierende nicht nachvollziehbar und auch frustrierend. Daher wollen wir hier zwei weitverbreitete Ursachen für Knieschmerzen exemplarisch herausgreifen und die Körpermechanik statisch betrachten.
Die erste und leichter zu behebende Ursache liegt in der – durchaus wünschenswerten – Kräftigung des vierköpfigen Oberschenkelmuskels (Musculus quadriceps femoris). In die Ansatzsehne des Oberschenkelmuskels ist die Kniescheibe (Patella) als Sesambein eingelagert und über das Kniescheibenband (Ligamentum patellae) mit dem Schienbein (Tibia) verbunden, siehe Abb. 1(a). Verkürzt sich nun der Oberschenkelmuskel infolge des Trainings, wird ein erhöhter Zug auf seine Ansatzsehne ausgeübt, welche wiederum die Kniescheibe auf das Kniescheibengelenk (Articulatio femoropatellaris) zieht. Die aufeinander gleitenden Knorpelflächen von Kniescheibe und Oberschenkelknochen (Femur) erfahren so einen erhöhten Druck, der Versorgungsstörungen, Anrauhungen und Ausfransungen der Knorpelmasse auslösen und somit Schmerzen verursachen kann. Eine regelmäßige Dehnung des geraden Muskels des Oberschenkels (Musculus rectus femoris, als ein Kopf des Musculus quadriceps femoris), der seinen Ursprung am Darmbein der Hüfte (Spina iliaca anterior inferior) hat, könnte diesem Problem vorbeugen und ggf. ausreichen um akute Knieschmerzen in den Griff zu bekommen. Eine geeignete Möglichkeit hierzu wäre der Hüftbeuger, wie in Abb. 1(b) schematisch dargestellt.
Abbildung 1 – (a) Schematische Darstellung des Knies aus [1]. Die Kniescheibe (Patella) ist in die Ansatzsehne des Oberschenkelmuskels eingelagert und über das Kniescheibenband (Ligamentum patellae) mit dem Schienbein (Tibia)verbunden. (b) Dehnübung „Hüftbeuger”. Hier wird der gerade Muskel des Oberschenkels (Musculus rectus femoris) effizient gedehnt.
Die zweite und leider aufwändiger zu behebende Ursache liegt in der mechanischen Ausrichtung der Beine und Hüfte beim Training und im Alltag. Viele Taijipraktizierende schenken dieser leider keine oder zu wenig Aufmerksamkeit. Nach innen eingefallene Knie in statischen wie bewegten Positionen und ein zu weit nach hinten verlagerter Körperschwerpunkt sind häufig zu beobachten. Welche Auswirkungen dies für die Belastung der Knie hat, werden wir im Folgenden betrachten.
Bei korrekter Trainingsstellung sitzen im Kniekehlgelenk (Articulatio femorotibialis) Oberschenkelknochen und Schienbein übereinander, das Köpergewicht wird gleichmäßig vom inneren und äußeren Meniskus (Meniscus medialis/lateralis) übertragen und das Knie steht über dem Fuß, sodass das Gewicht korrekt in den Fuß fällt, siehe Abb. 2(a) und (b). So ist ein optimaler Kraftübertrag möglich. Wird beim Training nicht auf diese natürliche Ausrichtung geachtet, kommt es zu Fehlbelastungen. Knickt das Bein nach innen ein, steht das Knie nicht mehr über dem Fuß. Das Kniegelenk erfährt eine Krafteinwirkung senkrecht zu seiner natürlichen Gelenkrichtung (siehe roter Pfeil in Abb. 2(c)), das Körpergewicht belastet übermäßig den Außenmeniskus. Wird nun zusätzlich das Kniegelenk unter dieser Belastung bewegt, können Ober- und Unterschenkel nicht gleichmäßig auf den Menisken gleiten. Auf lange Sicht kann dies die Aufrauhung und verstärkte Abnutzung (Arthrose) der Menisken zur Folge haben. Ferner fällt das Fußgewölbe ein und begünstigt die Bildung eines Senk- oder im Extremfall Plattfußes, vergleiche Abb. 3. Folglich sollten die Knie stets über den Füßen gehalten werden, damit sich das Körpergewicht über die Ferse im Fuß verteilt. So kann sich das Kniegelenk frei bewegen und der Fuß behält seine natürliche Aufrichtung bei. Im Chinesischen wird dies durch die Anweisung den Schrittbereich zu runden (圜裆, yuándāng) beschrieben. Auf die damit verbundene Aufrichtung des Fußgewölbes wird in unseren Taijitexten besonders Wert gelegt [2]. Man soll aktiv mit den Füßen greifen (抓地, zhūadì), was zur Kräftigung der Fußmuskulatur führt und eine solide Basis schafft (vgl. auch [3]). Ebenso sollte in gewichteten Ständen das weniger belastete Bein nicht einfallen, um beim Gewichtswechsel das Knie ohne unnötige Bewegungen und Belastungen automatisch korrekt positioniert zu haben. Für Anfänger empfiehlt es sich daher nicht zu tief zu trainieren. Durch die korrekte Kniehaltung findet eine Dehnung in der Hüfte statt, die nach und nach tiefere Stände erlaubt.
Abbildung 2 – Stellung des Kniegelenkes. (a) Schematische Darstellung des Kniegelenkes ohne Kniescheibe aus [1]. Ober- (Femur) und Unterschenkelknochen (Tibia) sitzen übereinander, sodass das Körpergewicht gleichmäßig vom inneren und äußeren Meniskus (Meniscus medialis/lateralis) übertragen wird. (b) Korrekte Beinhaltung: Das belastete Knie steht über dem Fuß. Der Schrittbereich ist gerundet (圜裆, yuándāng), vergleichbar mit der intrinsischen Stabilität eines Brückenbogens. (c) Inkorrekte Beinhaltung: Durch das eingefallene Knie wirkt eine Kraft (roter Pfeil) senkrecht zur natürlichen Gelenkrichtung des Knies. Das Körpergewicht wird nicht direkt in den Fuß geleitet und der Außenmeniskus wird übermäßig belastet. Die Struktur ist intrinsisch nicht stabil.
Zusätzlich spielt die Lage des Körperschwerpunktes eine entscheidende Rolle. Zur Veranschaulichung betrachten wir das Knie vereinfachend als Drehgelenk, bei dem an einer Seite die Gewichtskraft des Körpers angreift, die auf der anderen durch die Patellasehne aufgenommen werden muss. Der Hebelarm auf der Vorderseite ist fest gegeben durch den Abstand D der Patellasehne zum Drehpunkt, siehe schematische Darstellung des Knies in Abb. 4(a). Der Hebelarm auf der Innenseite wiederum hängt von der Lage des Körperschwerpunktes ab. Bei nach hinten geneigtem oder falsch senkrecht gehaltenem Oberkörper (Abb. 4(b) und (c)) wirkt ein deutlich längerer Hebelarm (Strecken A und B), der durch die Patellasehne kompensiert werden muss, als im Fall eines leicht nach vorne gebeugten Oberkörpers (Abb. 4(d), Hebelstrecke C). Ferner ist in tiefen Ständen zu erkennen, dass in den ersten beiden Fällen die Knie über die Fußspitzen hervorragen, was als Indikator für eine höhere Kniebelastung zu sehen ist.
Abbildung 3 – Betrachtung des Fußgewölbes in Abhängigkeit von den Kniestellungen aus Abb. 2. (a) Bei korrekter Kniestellung ist das Fußgewölbe aufgerichtet. Der Fuß greift (抓地, zhūadì), die Fußmuskulatur ist aktiv und wird trainiert. (b) Fällt das Knie ein, ist das Fußgewölbe nicht aufgerichtet. Ein Senk- bzw. Plattfuß ist die Folge.
Um die Belastung zu minimieren und Knieschmerzen vorzubeugen, sollte demzufolge eine eher sitzende Position im Training eingenommen werden, bei der der Oberkörper durchaus eine leicht nach vorne gebeugte Tendenz aufweisen kann. In den klassischen Taijitexten wird dieses Hinsetzen durch die Hüfte soll vorne locker und hinten abgesetzt sein (松胯, sōngkuà) beschrieben. Ist der Oberkörper nach hinten geneigt oder wird falsch senkrecht gehalten, ist die innere Hüftmuskulatur (Musculus iliopsoas), die die Wirbelsäule mit dem Oberschenkel verbindet, zu stark gespannt. Die Beweglichkeit der Hüfte ist damit eingeschränkt und ein lockeres Hinsetzen nicht möglich. Folglich wird auch das Falten von Brust und Taille (胸腰折叠, xiōngyāozhédié) behindert. Zu beachten ist, dass sogar ein leicht nach vorne geneigter Oberkörper nicht im Widerspruch zur im Taiji gewünschten Körperaufrichtung steht, wenn der Rücken als zentrale Körperachse durch das Aufziehen von Steiß bis Scheitel gerade bleibt.
Bei der statischen Betrachtung des Sachverhaltes wollen wir es hiermit belassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beim Training eine korrekte Ausrichtung der Knie und des Körperschwerpunktes, d.h. der Hüfte und des Oberkörpers, unerlässlich ist. Die Beine sollten eine Bogenstruktur aufweisen (圜裆, yuándāng), sodass das Knie des belasteten Beines über dem Fuß steht und das andere nicht einfällt. Aktives Greifen der Füße (抓地, zhūadì) trainiert hierbei die Fußmuskulatur und sorgt für zusätzliche Stabilität. Gleichzeitig sollte auf eine aufrechte aber sitzende Haltung geachtet werden (松胯, sōngkuà), sodass der Körperschwerpunkt leicht vor der Körpermitte liegt. So wird die an der Patellasehne angreifende Gewichtskraft des Körpers durch einen reduzierten Hebelarm minimiert. Letztendlich sollte auch auf eine ausreichende Dehnung der Oberschenkelmuskulatur geachtet werden.
Ergänzend ist zu erwähnen, dass die Umsetzung dieser Punkte gerade in der Bewegungsdynamik eine spiralige Zugspannung in den Beinen erzeugt, die die Körperlast stabilisiert. Die Belastung einzelner Gelenke, die sonst nur vertikal wirkende Kompressionskräfte erfahren, wird so vermindert. Diese inneren Züge sind zentraler Bestandteil verschleißfreier Bewegungen und schmerzfreier Knie im Sport wie im Alltag und ein wichtiges Merkmal unseres Taijiquan.
Abbildung 4 – Belastung der Patellasehne in Abhängigkeit der Körperschwerpunktslage. (a) Die Patellasehne muss die Kraft (blaue Pfeile) aufnehmen, die zum Halten der Knieposition benötigt wird. Der Abstand vom Drehpunkt zur Patellasehne (D) definiert den Hebelarm. (b) Nach hinten geneigter Oberkörper. Hier liegt der Körperschwerpunkt hinter der Körpermitte. Fällt das Körpergewicht nun in die Fersen, d.h. der Körperschwerpunkt (blauer Kreis) liegt direkt über den Fersen, ist der Hebelarm zum Drehpunkt im Knie besonders groß (Strecke A). Das angreifende Drehmoment (Produkt aus Hebelarm und Gewichtskraft (blauer Pfeil) des Körpers) ist hier folglich am größten. (c) Wird der Oberkörper senkrecht gehalten, liegt der Schwerpunkt in etwa in der Körpermitte. Jedoch ragen die Knie immer noch über die Fußspitzen hinaus und der Hebelarm (Strecke B) sowie die Belastung der Patellasehne sind noch nicht minimiert. (d) Nimmt man eine locker sitzende Haltung (松胯, sōngkuà) ein, liegt der Schwerpunkt leicht vor der Körpermitte. Die Knie ragen nicht mehr über die Fußspitzen hinaus. Der Hebelarm (Strecke C) und somit die Belastung werden minimiert.
Literatur:
[1] H. Gray, „Anatomy of the Human Body”, 20. Auflage (1918)
[2] Chen Zhaokui, „50 Probleme beim Training des Taijiquan”, 陈照奎宗师 列举练拳诸病五十例. Übersetzung siehe CTND-Archiv.
[3] „Kurzer Fuß nach Janda” aus der manuellen Therapie. Siehe zum Beispiel http://de.wikipedia.org/wiki/Kurzer_Fuß